"Wie wir wissen, ist ein Popsong nicht exakt das wahre Leben"

Paddy McAloon von Prefab Sprout – der besten Band der Welt – über Liebeslieder, Mädchenwelten und die Gefahr der Wiederholung

Ihr neues Album heißt „The Gunman And Other Stories“ – lauter Wildwestgeschichten. Was fasziniert Sie am Wilden Westen?

 

Ich finde den Wilden Westen gar nicht so faszinierend, das muss ich hier mal zugeben. Ich habe ihn nur als Metapher benutzt. Letztes Mal waren es die Sterne und der Himmel. Dieses Mal ist es der Wilde Westen. Der Grund dafür: Ich habe viele von den Songs für einen anderen Künstler geschrieben, für Jimmy Nail. Er hatte eine Fernsehserie, in der spielte er einen englischen Songschreiber, der nach Nashville geht.

 

Sind Sie zum Recherchieren nach Nashville gefahren oder durch die Straßen von Laredo gegangen?

 

Nein nein nein! Und ich habe das auch bestimmt nicht vor. (lacht)

 

Was ist mit reiten oder schießen?

 

Nein! Nein! Daran habe ich überhaupt kein Interesse! Ist es nicht komisch: Man setzt sich diesen Songschreiber-Hut auf und kann sich plötzlich völlig fremde Welten vorstellen. Ich fahre noch nicht mal Auto! Ich bin Mr. „Cars & Girls“ und fahre noch nicht mal Auto.

 

Sie haben keinen Führerschein?

 

Nein! Ich kann noch nicht einmal Motorrad fahren. Ich habe bloß für das Cover von „Steve McQueen“ auf einem posiert.

 

Hat es Sie das Fahren nie interessiert?

 

Doch, ich habe es sogar versucht – und bin beim ersten Mal durch die Prüfung gefallen. Später ist es ist einfach nie wieder soweit gekommen. Und dann habe ich begonnen, mich auf Busreisen zu freuen. Wenn man Auto fahren kann, ist man immer derjenige, von dem alle abgeholt und nach Hause gebracht werden wollen. Ich finde, ich habe schon in sehr vielen anderen Lebensbereichen sehr viel für andere Menschen getan, da wollte ich mich aus dem Teil lieber raushalten. Meine Frau wäre da ganz anderer Meinung. Sie würde sich wünschen, ich würde endlich das Autofahren lernen, damit sie nicht ALLES machen muss.

 

Sie haben die Autos gemieden, aber nicht die Mädchen.

 

Nein, nein, von den Mädchen habe ich mich nicht ferngehalten. Das wäre ein zu großes Opfer gewesen! Ich habe vor vier Jahren geheiratet, jetzt habe ich eine Frau und zwei Töchter. Eine Mädchenwelt, überall wo ich hinschaue! Das ist großartig! Eine Freude!

 

Sie finden so viele Metaphern für Liebe – woher kommen die alle?

 

Das ist der pure Hunger. Als Songschreiber spürt man einen Hunger auf verschiedene Möglichkeiten, das selbe zu sagen. Es ist allerdings leicht unglücklich, dass ich „The Gunman And Other Stories“ direkt nach „Andromeda Heights“ veröffentlicht habe. Beide verwenden den selben Trick: „Love is an avenue of stars“, „Love is a gunman“.

 

„Love is a silver bullett“…

 

Ja genau! Das ist eine Schwäche! Mir ist bewußt, dass das ein Trick ist, den ich verwende und ich werde damit aufhören. Es wiederholt sich zu oft. Aber es funktioniert einige Male.

 

Wie viele Metaphern für "Liebe" können sie finden?

 

Unendlich viele finden. Ich suche unentwegt nach neuen. Und ich werde weitersuchen. Man braucht als dramatische Voraussetzung bloß zwei Figuren, zwischen denen eine starke Spannung besteht.

 

Finden Sie diese Möglichkeiten alle in Ihrem Kopf?

 

Ich finde sie, wenn ich Klavier oder Keyboard spiele. Denn wenn ich herumlaufe und nach Ideen für Songs suche, scheint mir das immer zu trocken, wie eine zu dröge Übung. Ich muss Musik spielen. Und wenn ich spiele, kommen die Idee – woher auch immer. Und dann werde ich aufgeregt. Ich höre einfach Wörter! Ich bin kein sehr selbstbewußter Schreiber. Es muss immer Musik die Worte begleiten. Popmusik erlaubt einem, sehr einfache Worte zu verwenden, sehr schlichte Gefühle auszudrücken – es funktioniert erst zusammen mit der Musik.

 

Die Musik erhöht die Texte.

 

Absolut! Das ist der Unterschied zwischen Poesie und Liedern. Bei Gedichten ist die Musik schon eingebaut, bei Liedern muss man sie extra dazugeben. Wenn die Sprache eines Songs zu reich, zu ausgefeilt ist, dann funktioniert das oft nicht. Man braucht ein paar extravagante Ideen und auch ein paar einfache. Sonst sind zu viele Eier im Pudding. Das ist mir alles schon passiert.

 

Was waren Ihre Fehler?

 

Auf den ersten Platten waren zu viele lächerliche Textzeilen. Ich dachte, Originalität wäre alles. Allerdings: Bei "Swoon" glaubten mein Bruder Martin und ich, das wird so bekannt wie "Thriller“. Wir fanden, das Album sei sehr kommerziell und hey, warum nicht? Erst ein paar Jahre später bemerkten wir, wie begrenzt doch manchmal der eigene Blick ist. Man sieht seine Arbeit als Tunnelvision und bemerkt meist gar nicht, wie seltsam man auf andere Menschen wirkt. (lacht)

 

Sie mögen keine Bilder von sich selbst.

 

Ich wäre glücklich, wenn es keine gäbe! Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Um ehrlich zu sein: Ich würde am liebsten nichts anderes tun als Songs zu schreiben und vielleicht ein paar Platten zu machen. Das Geheimnis wäre doch viel größer. Und wenn man älter wird, sich verändert, dann ist man sich seiner körperlichen Ausstrahlung nicht mehr so sicher. Ich habe auch sehr schlechte Augen. Sie fallen sozusagen auseinander, ich hatte schon mehrere Operationen, um sie wieder richten zu lassen. Das begann vor vier Jahren. Ich habe den Punkt, bis zu dem man gerne fotografiert wird, längst überschritten. Man ist hübsch, wenn man 25 ist, aber später sollte man das einfach sein lassen. Damit verkauft man dann wirklich keine Platten mehr! (lacht) Oh, es tut mir leid, ich wollte nicht so schwermütig klingen. Mal auf einer ernsthafteren Ebene: Videos haben schon so viele Songs ruiniert. Nein, vielleicht nicht ruiniert. Aber: Ein Künstler in seinem eigenen Video, der einem sagt, was man anschauen soll während man den Song hört – oh nein!

 

Es heißt, Sie haben zu Hause noch 150 unveröffentlichte Songs.

 

Wahrscheinlich sogar mehr. Seit 1984 habe ich eigentlich an fast nichts anderes gedacht, als Songs zu schreiben. Ich habe ungefähr 20 Lieder pro Jahr geschrieben. Da hat sich einiges angesammelt. Ich habe viele, viele Alben, aufgereiht wie Flugzeuge an der Startbahn.

 

Der NME behauptet, dass Paddy McAloon Alben schreibt wie andere Leute Einkaufslisten.

 

Das ist eine Übertreibung. (lacht) So fruchtbar bin ich nun wirklich nicht. Ich wache nicht morgens auf und sage, oh, hier ist noch ein Song. Es ist harte Arbeit. Sehr harte Arbeit. Und wenn man älter wird, bemerkt man, dass man manche Dinge schon mal gemacht hat. "Love is …" – mmmh, dann denkt man: "Wo habe ich das schon mal gehört? Oh, es ist von mir, verdammt!" Jeder Schreiber denkt bestimmt mal: "Oh, ich habe nur eine begrenzte Möglichkeit, die Dinge zu sehen." Und dann sucht man nach neuen Wegen.

 

Gibt es etwas, das Sie vom Songschreiben abhalten könnte?

 

Ja, es gibt Dinge, die mich davon abhalten, bestimmte Songs zu schreiben. Ich widerstrebe mich – nur im Moment, ich mache Phasen durch, in denen ich mich gegen unterschiedliche Dinge sträube – im Moment weigere ich mich, konventionelle Liebeslieder zu schreiben. Das habe ich schon getan, so viele davon geschrieben, das ist mir zur Zeit zu langweilig. Ich suche nach anderen Dingen, über die ich schreiben kann. Andere Betrachtungsweisen. Etwas, das mich völlig vom Songschreiben abhalten könnte, wäre das Gefühl, dass ich nicht mehr besser werde. Wenn ich das Gefühl hätte, es wäre nur noch eine blasse Imitation von dem, was ich schon gemacht habe, dann würde ich versuchen, aufzuhören. "Love breaks down Teil 2", Cars and girls Teil 2" – das macht doch keinen Sinn. "Steve McQueen Part 2" – das würde alles verderben. Da ist es würdevoller, still zu sein.

 

Gibt es genug Liebe auf der Welt?

 

Ich weiß nicht. Ich weiß wirklich nicht. Das ist so eine große Frage, zu groß, um sie global zu beantworten. Man kann immer nur von seiner eigenen Beziehung zu anderen Menschen ausgehen. Ich bin sicher, es ist nicht schlimmer als es schon immer wahr. Es ist nur so, dass wir jetzt mehr über die schlechten Seiten von allen Orten wissen. Wenn etwas Schreckliches in einer kleinen Schule in Amerika passiert, dann wissen wir es sofort. Vor 100 Jahren war das noch anders. Ist das nicht eine zu ernste Frage, um sie einem Mitglied einer Popgruppe zu stellen?

 

Sie schreiben immerhin so viele Songs über Liebe, ich dachte, da kennen Sie sich vielleicht mit dem Thema aus.

 

(lacht) Ich weiß! Oha!

 

Ich mag die Idee von "Love will find someone for you": Die Liebe findet die Menschen.

 

Genau. Das ist bei "Love is a gunman" auch so.

 

Man muss die Liebe gar nicht suchen, sie findet einen.

 

Wie wir wissen, ist ein Popsong nicht exakt das wahre Leben. (lacht) Aber in einem Popsong kann man vertraute Ideen mit einem besonderen Dreh präsentieren, um sie interessant zu machen. In den meisten Popsongs geht es darum, dass jemand Liebe findet oder finden will. Aber ich mag die Idee, dass die Liebe dich verfolgt und aufspürt. Das ist sehr sexy, es macht die Liebe so extrem mächtig. Und es ist etwas Wahrheit darin.

 

Kann Musik gefährlich sein?

 

Oh ja, das würde ich meinen! Selbst verführerische Popsongs sind gefährlich. Ich denke – das klingt jetzt extrem – dass alles was du siehst oder hörst, die Welt ein kleines bisschen formt. Filme und Platten lassen manchmal Dinge, die man nicht hat, schrecklich attraktiv wirken. So, dass man denkt, man könnte nicht weiterleben ohne diese Dinge zu haben. Vielleicht wirken meine Platten auch so. Man sollte sich nicht allzusehr davon beeinflussen lassen. Andernfalls läuft man herum und leidet darunter, dass das eigene Leben nicht wie ein Paddy-McAloon-Song ist.

 

Ist Ihr Leben wie ein Paddy-McAloon-Song?

 

Nein, überhaupt nicht. (kichert) Ich lese oft, dass ich in einer Burg lebe, auf einem Hügel, von Wolken umgeben, und tagaus tagein nichts anderes tue als Songs schreiben. Aber nein! Ich habe zwei kleine Kinder und komme manchmal nicht zum Arbeiten, weil ich zum Frühstück Speck braten muss. Lauter Dinge, die die Leute nie mit mir assoziieren. Das hat natürlich mit den Songs überhaupt nichts zu tun.

 

Was wird Ihre nächste Platte sein?

 

Sie wird "I trawl the megahertz" heißen. Darauf singe ich nicht sehr viel. Eine Frau spricht über Musik. Ich habe es geschrieben, aber es klingt, als wären es ihre Gedanken, als ginge sie ihre Erinnerungen durch. Sie ist eine Frau aus New York. Ich wollte jemanden, der von meiner Sichtweise so weit wie möglich entfernt ist. Eine Frau aus einem anderen Land also.

 

Und das ist bei Ihnen immer Amerika?

 

Wahrscheinlich, weil sie dort auch englisch sprechen. Eine Australierin hätte es natürlich auch getan. Vielleicht das nächste Mal. (lacht) Es gibt auch ein Projekt, das heißt "Jeff und Isolde". Wie die Oper "Tristan und Isolde", nur eben Jeff statt Tristan.

 

Kirsten Rick